Im Dieselskandal – ein aussichtslos scheinender Kampf zwischen der Autoindustrie und leidtragenden Verbrauchern und Umwelt – scheint sich mehr als sieben Jahre nach Aufdeckung der Manipulationen eine Kehrtwende abzuzeichnen.
Die frühere Bundesregierung ließ Gesetze ändern, deutsche Gerichte folgten der im Sinne der Automobilindustrie angepassten Gesetzgebung, aber der Europäische Gerichtshof sprach der Deutschen Umwelthilfe unter Berufung auf die Grundrechte der Europäischen Union Klagebefugnis zu und so darf sie als Umweltvereinigung endlich gegen die Typengenehmigungen des Kraftfahrtbundesamts vorgehen und sich als starker Partner an die Seite der Verbraucher stellen, die statt einer angemessenen Entschädigung oder Hardware-Nachbesserung ein Software-Update für ihr manipuliertes Fahrzeug erhielten, dass den Schadstoffausstoß nur verschlimmbessert, aber auch zu höherem Kraftstoffverbrauch und Motorverschleiß führt.
Dass als Heilmittel durch Bundesverkehrsministerium und Kraftfahrtbundesamt klassifizierte Software-Update stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, wiederholte der Europäische Gerichtshof und verwies erneut auf seine Entscheidung aus Dezember 2020 (Urteil des Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache C-693/18). Die Technik lasse, entgegen der Aussagen der Fahrzeughersteller, eine Lösung zu, die nicht zu Lasten der Fahrzeughalter und Umwelt geht; sie kostet nur mehr. Das kann und will die Deutsche Umwelthilfe nicht hinnehmen und wird sich, mit Rückendeckung des Europäischen Gerichtshofs für eine Lösung stark machen, die jedem einzelnen Verbraucher zugutekommt, der mit einem Software-Update vertröstet bzw. um seinen Schadensersatzanspruch gebracht wurde.
Ob freiwilliges Software-Update oder Pflichtrückruf – die Deutsche Umwelthilfe geht davon aus, dass mehr als fünf Millionen Fahrzeuge der Marken Porsche, Audi, VW und BMW betroffen sind. Um eine tatsächlich gut funktionierende Abgasreinigung zu ermöglichen, genügt ein Software-Update nicht; die Fahrzeuge müssen mit Hardware nachgerüstet werden, ansonsten droht die Stilllegung.
Das Wegducken der Fahrzeughersteller vor Schadensersatzansprüchen, wie es unzählige Verbraucher erleben mussten, wird nunmehr ein längst überfälliges Ende finden, denn vor dieser realen Gefahr der Stilllegung der Fahrzeuge und eines weiteren in Aussicht stehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs, wonach den Fahrzeugherstellern in den Verbraucher bewusst an seine finanziellen und mentalen Grenzen bringenden Rechtsstreiten ein Vorsatz bei der Manipulation nachzuweisen ist, genüge fortan fahrlässiges Handeln für die Verpflichtung zum Schadensersatz.
Zum Rechtlichen
Das Kraftfahrtbundesamt hatte in Freigabescheiden zur Genehmigung von Software-Updates verwendete Thermofenster für rechtmäßig erachtet. Hiergegen reichte die Deutsche Umwelthilfe bereits 2017 vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht ein mit der Begründung, das verbaute Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung und die eine Zulassung hierfür verstoße gegen geltendes Recht. Das Verwaltungsgericht sprach ihr jedoch Klagebefugnis ab und wies die Klage zurück (Urteil v. 13. Dezember 2017, Az. 3 A 26/17).
Wegen des zu dieser Entscheidung im Widerspruch stehenden bald darauffolgenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017 (Urteil v. 20. Dezember 2017, C-664/15) zweifelte das Verwaltungsgericht an seiner Entscheidung, die das Übereinkommen von Aarhus über den Zugang von Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union für nicht anwendbar hält und im Wesentlichen auf einer Gesetzesänderung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) aus August 2017 beruhte und legte das Urteil dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vor.
In seinem Urteil hält der Europäische Gerichtshof fest, dass es zum einen einer Umweltvereinigung grundsätzlich nicht verwehrt werden darf, die Beachtung bestimmter Vorschriften des Unionsumweltrechts überprüfen zu lassen und infolgedessen auch eine Verwaltungsentscheidung, die möglicherweise gegen EU-Recht verstößt, anzufechten.
Zum anderen wiederholte der Europäische Gerichtshof noch einmal seine Rechtsauffassung hinsichtlich der Unzulässigkeit von Thermofenstern: Abschalteinrichtungen, die – wie das Thermofenster – die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern – sind nach der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig, es sei denn, diese Abschalteinrichtung sei einziges Mittel, um konkrete Gefahren in Form von Beschädigung oder Unfall abzuhalten.
Ob dies vorliegend tatsächlich der Fall ist, hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht nunmehr zu prüfen. Denn selbst wenn die vom Europäischen Gerichtshof angenommene Klagebefugnis der Deutschen Umwelthilfe deutschem Recht entgegenstehe, so müsse das nationale Recht gemäß Artikel 47 der Grundrechtecharta der Europäischen Union, die ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen, unangewendet bleiben.
Autorin: Stefanie Igl